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Die Magisterarbeit


Dieser Artikel über Magisterarbeiten soll keine Anleitung für das "richtige" Abfassen einer Magisterarbeit sein - dafür gibt es die entsprechenden Bücher, z. B. das von Borowsky, Vogel,Wunder, Einführung in die Geschichtswissenschaft , ...- er soll eher darüber aufklären, wie man/frau eine solche Arbeit nicht schreiben sollte und der Blick in die Magisterarbeiten in der Historikerbibliothek soll eher eine Warnung sein!!!

Auffällig ist erst einmal deren Zahl: Im Laufe der letzten vier Jahre wurden etwa 100 Arbeiten ausgestellt, pro Jahr im Durchschnitt also 25 - erstaunlich wenig für eine Uni, die sich für eine "Arbeitsuni" hält. Denn trotz des "amtlich" festgestellten Schwunds von über einem Drittel aller Studenten in den ersten acht Semestern (darüber wird gar nicht erst gezählt) schreiben von dem "Rest" dann weniger als ein Drittel eine Magisterarbeit.

Auffällig ist weiterhin, daß die meisten Arbeiten sich mit den Lieblingsschwerpunkten der ProfessorInnen beschäftigen. Keine Arbeit ist eine Theoriearbeit, nur eine (Nr. 106) hat (auch) die Geschichtswissenschaft zum Thema. Viele Arbeiten dagegen sind regional- oder mentalitätsgeschichtlich orientiert, eine ganze Reihe auch politik- und geistesgeschichtlich, ein paar auch sozialgeschichtlich, - die beschäftigen sich aber nicht mit der (meinetwegen) BRD-Gesellschaft insgesamt, sondern nur mit der Veränderung einzelner Statusgruppen.

Kaum eine Arbeit wagt eine Aussage für die Gegenwart zu treffen - etwa für oder gegen irgendetwas Partei zu ergreifen - fast alle sind so wissenschaftlich, daß sie schlicht aussagelos sind, besonders, was Probleme der Gegenwart angeht. So ist etwa die Auflösung des "Ostblocks" kein Thema, oder der Aufstieg und Niedergang einer Weltmacht wie die USA - überhaupt gibt es nur sehr wenige Arbeiten, die im historischen "Längsschnitt" mehr als dreißig Jahre schaffen, nur ein paar, die sich mit Nachkriegsthemen beschäftigen. Und dabei soll Geschichtswissenschaft doch (auch) Identifikationsmuster bieten!

Die meisten Arbeiten, auch die der ehemaligen BasisgrüpplerInnen, beweisen eigentlich nur, daß ihre VerfasserInnen sich eine Weile lang mit irgendwelchen weltfremden Themen beschäftigen mußten, um einen für sie -materiell gesehen- relativ wertlosen Schein zu bekommen. Sie mußten sich dazu zwingen, dafür Frust und Beziehungsstreß in Kauf nehmen, - das wissen nur sie selbst und wir, ihre FreundInnen, die sie in dieser Zeit „gehalten“ haben. Noch haben auch wir die Erwartung, mal eines schönen Tages von unseren KommilitonInnen gestützt zu werden, nur: können wir es dann noch von ihnen verlangen, wo die Zeiten jetzt schon immer schlechter werden, und müssen wir nicht immer skrupelloser und brutaler in unseren menschlichen Ansprüchen werden, wenn wir in ihnen schon jetzt die Bereitschaft anlegen, uns mal eines Tages für eine ganze Weile den Rücken freihalten zu müssen?

Sind diejenigen, die anderen Menschen so etwas nicht zumuten wollen, die sich nicht auf die in der Gesellschaft für diese Fälle vorgesehenen "Selbstverständlichkeiten" stützen wollen, unbedingt die Schlechteren? Wie werden diese "Selbstverständlichkeiten" als kultureller Mainstream immer wieder neu definiert? Wer macht es hier in Göttingen und besonders in der Studentenszene? Finden wir uns mit ihnen ab oder bekämpfen wir sie? Kommen wir um dieses Dilemma herum?

Nebenbei werden in KEINER Arbeit Karl Marx oder Max Weber zitiert - die hiesigen ProfessorInnen hingegen sehr häufig - das systematische Nachdenken über die Funktion von Geschichtswissenschaft in dieser Gesellschaft zeigt sich hier jedenfalls nicht als verallgemeinerter Standard. Es sollte nicht auf die Exklusivität eines subalternen Dozenten abgeschoben werden, wie es hier in Göttingen offenbar geschieht. Das Studium dient in seiner jetzigen Form dazu, herrschenden Sichtweisen verbesserte Identifikationsmöglichkeiten zu geben, auch wenn diese kriegerisch, umweltzerstörend oder rassistisch sind, dafür werden Historiker bezahlt.

Schaut euch die Arbeiten an! Sie stehen in der Bibliothek des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte.

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